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"Der aussätzige Mai" - Der Expressionist A.Rudolf Leinert heisst der Band der Reihe Replik 8 der © Edition Isele, 79805 Eggingen 1999 ISBN 3-86142-119-6 Ein Porträt von Wulf Kirsten und Peter Salomon. | ||
EINE BUCHEMPFEHLUNG Peter Solomon schreibt in dem Band u.a. über A. Rudolf Leinert: „Der Nachlaß des Lyrikers A. (Albert) Rudolf Leinert ist auf der
Müllkippe gelandet. Die Spuren, die er hinterließ, sind ausgesprochen
spärlich. Neben einem einzigen Gedichtheft finden sich lediglich einige
verstreute Veröffentlichungen im Umfeld des Dresdner Spätexpressionismus.
Ein nennenswertes Echo fanden seine literarischen Aktivitäten weder zu
seinen Lebzeiten noch nach seinem Tode. Pfingsten 1986 lernte ich im Hause Martin Walsers in Nußdorf am
Bodensee den Dichter, Herausgeber und Lektor Wulf Kirsten aus Weimar
kennen. Hieraus entwickelte sich ein bleibender freundschaftlicher und
kollegialer Kontakt. Im Laufe unseres brieflichen Austausches stellte
sich heraus, daß Wulf Kirsten mit A. Rudolf Leinert in den sechziger
Jahren noch selbst korrespondiert hatte. Kirsten hat damals die noch
lebenden Dresdner Expressionisten brieflich befragt und die Erkenntnisse
archiviert. Auch hier existieren noch Briefe mit unveröffentlichten
Gedichten, die das Konvolut aus dem Dietrich-Nachlaß ergänzen. Kirsten
besaß auch einige Fotos, die ergänzt werden konnten durch solche aus dem
Besitz eines Stiefsohnes von Leinert aus zweiter Ehe, Albert Jürgens.
Einige Informationen und Fotos verdanke ich auch dem Berliner
Expressionismusforscher Peter Ludewig. Gott - Mensch, Geburt. Gedichte 1914/1918 Nachzuweisen ist jedoch nur der schmale Gedichtband »Gott -- Mensch, Geburt« von 1918. Den Titel unseres Replik-Heftes übernehmen wir von dem höchstwahrscheinlich nie erschienenen zweiten Gedichtband Leinerts, der wiederum einem Gedicht gleichen Namens folgt: Der aussätzige Mai Viele Hunde sind auf Straßen gepflanzt. Bäume verkahlen. Der trunkene Tag ist entzückt. Gelb blüht Himmel. Messer wetzen Zähne. Die Toten frieren in bleiernen Särgen.
Umschlag des Gedichtbandes 1918. Holzschnitt von
Walter Otto Grimm. Die Schlacht Am Ende wird nur noch ein totes Eingeweide sein! Hängeschultern trägt mürber Staub. Doch Fanfaren erbrechen sich in rissigen Schrein. Tier, ich bin Mensch! Ader friert. Kaffeehäuser waren sehr geduckt. Aeroplansang knirscht. Leer des Hirnes. Gleitend hinkt Gewehr. (Himmel, ist Deine Sonne verblutet?) Kommando bröckelt. Das lächelnde Kino. Aber Mund hängt schwer! Granaten sieben. Schnurrbart beißt winselnd hohlen Zahn. Alkoholiker wurden am Strande sentimental. Leichen fallen. (O Modergestank!) Hirnnerv schwellt Wahn. Aussatz pesten Kehlen. Ich hasse Dich, Tod! Fähnrichrufe skizzieren flatternde Wolken meeresblau. Mord! Die letzte Silbe des Befehls wird betont! Augen trinken Luft. Du bleiche Wut! Rumpf auf wehrhaftem Rumpf! Ich will einen Stern begraben! Einen Stern! Nicht den Mond-!! [Winter 1915] Albert Rudolf Leinert wurde am 1. Dezember 1898 in Dresden als Sohn eines Fabrikanten geboren. Über seine Familienverhältnisse, Schulausbildung und eventuelles Studium ist nichts bekannt. Fotos nach zu urteilen, besaß die Familie ein gutbürgerliches Haus, das Leinert geerbt hat - möglicherweise schon in sehr jungen Jahren und neben anderem Vermögen. Es sieht so aus, als sei er nie einer geregelten Arbeit nachgegangen. An Kirsten schreibt Leinert, er sei bereits vor dem Krieg ärztlich tätig gewesen, und »aufgrund notariell beglaubigter Urkunden [sei es ihm gelungen] wieder ins bürgerliche Fahrwasser zu kommen«.' Die Briefköpfe ziert ein »Dr. med.«, und auch auf Rezeptblättern schreibt er. Eine Dissertation ist aber nicht nachweisbar. Eine Praxis gab es nicht. Vor seinem Tod lief ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft und/oder Ärztekammer gegen ihn. In den Eintragungen des Kürschner taucht der Doktor-Titel erstmals 1952 auf, zusammen mit der Berufsbezeichnung »Privatgelehrter«. »Arzt« heißt es erstmals im Kürschner von 1958. Über sein Leben in den zwanziger und dreißiger Jahren ist wenig bekannt. Angeblich verließ Leinert Dresden Mitte der zwanziger Jahre, um nach Berlin zu gehen, sei »aber zeitweise zu flüchtigem Aufenthalt wieder zurück[gekommen]«.z In Berlin hat er vor dem Zweiten Weltkrieg jedoch keinerlei Spuren hinterlassen. Und einem Steuerbescheid von 1950 ist zu entnehmen, daß er das Haus in Dresden zu dieser Zeit noch besaß. Im »Kürschner« von 1934 heißt es: »Auf Reisen«. Die Nazi - Jahre soll Leinert in Zuchthäusern und Konzentrationslagern verbracht haben, u.a. sei er Häftling in Buchenwald gewesen. Dafür ließ sich jedoch nichts erbringen. Bereits im März 1933 habe er sich »in den Krallen der Gestapo befunden«... Seine »6000 Bände umfassende Bibliothek wurde größtenteils bei Haussuchungen von der Gestapo, der SS und der SA geplündert, wie auch mein übriges Eigentum«.' Fotos aus der Zeit nach Kriegsende zeigen einen von Entbehrungen und Strapazen Gezeichneten. Dies läßt darauf schließen, daß Leinert bis Frühjahr 1945 inhaftiert war. Genauere Angaben zu diesen Leidensstationen können jedoch vorerst nicht gemacht werden. In »Wer ist Wer?« gab Leinert an: »Unter Hitler Arbeitsverbot, 58 Mon. KZ. ![]() ![]() Fritz Maskos: Dichter-Porträt mit dem Titel "Der Raucher"- rechts: Leinert nach KZ-Aufenthalt 1945 »Nach Kriegsende verbrachte [er] rundweg zehn Jahre in Süddeutschland«,' das heißt in Bad Tölz. Dort starb im Mai 1951 seine erste Frau. 1952 heiratete er dort in zweiter Ehe eine Berlinerin. 1954 zog er mit seiner Frau nach West-Berlin, wo er zuerst in Friedenau wohnte. Ende 1954 wurde diese Ehe geschieden. Leinert lebte fortan im Stadtteil Wilmersdorf. Immer wieder hält er sich für längere Zeit auf Ibiza auf. Am 1. April 1969 stirbt er in Berlin. Besser dokumentieren läßt sich Leinerts literarische Tätigkeit. Er beginnt sehr früh zu schreiben; seine ersten Gedichte datiert er auf 1914. Als Dichter gehört er jedoch eindeutig zur zweiten Generation des Expressionismus." Bisher konnten 115 Gedichte von A. Rudolf Leinert zusammengetragen werden. Leinert soll in jeder Hinsicht eine "schwierige" Person gewesen sein: "Ich steh allein auf weiter Flur, weil ich nicht gewillt bin, mich auf Kompromisse einzulassen" schreibt er am 17.12.1966 an Wulf Kirsten. 1946 wurde er Autor der "Berliner Hefte für geistiges Leben" (Aufsätze über Else Lasker-Schüler, Franz Werfel und andere) und beim "Tagesspiegel", Berlin. Ab Mitte der 50er Jahre lebt er isoliert und Verbittert - "wie so viele, die sämtliche Nachkriegsjahre in alle Welt zerstreut haben". Gruss Dir, O Mitmensch! In stiller Träume blauer Dämmerung Fühl ich Dich wieder durch mein Wesen wehen. - Nun stürzt der Frühling in berauschte Schlehen. Die Felder atmen. Und ihr Blut ist jung. Da glomm ein Schauer über meine Haut. Ich sah die Berge satte Trauben tragen Nach einem Sommer, reich an Erntewagen. Du bist mir fremd und doch so tief vertraut. Wir sind uns wohl in funkelnder Allee Schon oft begegnet. Nur mit stummem Munde. Bald schlägt die Uhr an unsre große Stunde. Ein weißes Leuchten flammte überm See. Der Rehe Sanftmut gab sich Deinem Blick. Die Wiesen glitten in Dein Armebreiten. Der Weg war glücklich unter Deinem Schreiten, Und aus den Wäldern trieb es wie Musik. Und auf des Regenbogens Flügel ritt Dein Menschen-Lächeln und fand gute Worte. Die Sonne stieg. Der Erde goldene Pforte Erglühte purpurn vor dem letzten Schritt O Meer und Himmel!O, nach diesem März Der Strenge nochmals einen Mai zu leben, Wo Sterne sind, die Gottes Schuld vergeben. - Ich rufe Dich! Brich auf, geliebtes Herz!! (aus den "Berliner Heften", 1946) Einen besonderen Zorn entwickelt er auf die Gruppe 47 und vor allem auf Günter Grass und Uwe Johnson: »Berlin hat mich konsequent und in gehässiger Weise ignoriert. Dafür läßt man den Dilettanten Graß fast täglich hochleben" ... In der Gruppe 47 ist alles Pseudo und Möchtegerne` ... Die >47< mit ihrem Erzdilettanten Graß habe ich seit Anbeginn heftig bekämpft` ... Wer hier den unaussprechlichen Graß oder den öden Uwe Johnson nicht kniefällig anbetet, wird rigoros von der Liste jener gestrichen, die überhaupt noch erwähnenswert sind.« In den Briefen an den früheren expressionistischen Weggefährten Rudolf Adrian Dietrich wird sein Zorn auf die junge Dichtergeneration noch aggressiver und nimmt wahnwitzige Züge an. Ebenso schimpft er auf die damaligen Politiker, vor allem auf den Berliner Oberbürgermeister Willy Brandt. Er hat aber auch noch einen letzten Traum, nämlich »mit einer mutig-aggressiven Zeitschrift in diese Fäulnis zu stoßen...«" Und: »Stets habe ich es beklagt, keinen Teilnehmer an der Herausgabe einer avantgardistischen Zeitschrift zu finden«.` So bleibt auch diese Idee Leinerts, wie wohl auch seine sonstigen literarischen Projekte, unverwirklicht." Peter Solomon/Wulf Kirsten DieTextauswahl in diesem empfehlenswerten Replikheft 8 der Edition Isele stellt ausschließlich den Lyriker A. Rudolf Leinert vor. Prosatexte und Essays konnten aus Platzgründen keine Aufnahme finden. Eulenspiegel kehrt heim Er kam von irgendwo. Er wußte nicht, Ob er den Ort dort Heimat nennen konnte. Der Weg stieg steiler; und der Tag besonnte Ihn noch mit einem letzten Abendlicht. Doch hinterm Berge ward es immer trüber; Er selber matt. Ein Fuhrknecht, der mit He! Sein Pferd antrieb, zog ohne Acht vorüber. Und bitter roch er schon den ersten Schnee. Die Astern welkten. Durch der Zäune Latten Griff kalter Wind. Darin hob sich Wald. Sein Hund verfolgte treulich seinen magren Schatten Wie eine Leiche, die man zum Bestatten Trägt, und ein Lächeln fror um seinen Mund. Wahnsinn - - Verrostetes Gehirn. (Sehr lüstern schäumt ein Ohr!) Dasein wächst aus Stern-Nacht, blutrotes Bett. Beglitzte Häuserfetzen schaukeln, Sonnen über dürrigem Aas. Revolver glüht. Kehle brennt Schreie. Arme fallen in hüftichte Berge. Schweiß atmet Grabgepest. Lurche kriechen, in hirniger Schale Fett Hinkt Klumpfuß, elephantiastische Seuche, Haar klebt Schleim. Kot erkotzt zahnbraune Reihe. O du hingeruchtes Menuett zwischen Morgen und Abend; daß Himmel mürbe Haut Peitsche fühlen läßt. (Vater der Güte ...) Nerven platzen, Mondkugeln gen Nord zerrinnend. Mund liebt Worte. (Gott ahnt in Blöße.) Arme falten Bitten. Messer parzelliert reizende Poren. (Kirche, kreuzhafte Maske, winselt-: »Erlöse ...«) Brüllen steigt; rasender Fluch wider »Gerechtigkeit«. (O du kranker Vers!) Matratze, tröpfelnder Wurm, hängt vernäßt. Stirn bricht empor! -Was soll Dein Heulen, Tränen sack? Nirgend-Wo löst Faust. Ich gebäre Dich, Lüge! Weibroh klafft Schoß, haarige Empfängniswut. Brüste spannen Flügel. (0 du Geburtsehnsucht!) Menschen! Geschlechtliches Vieh! Du Prostitution! Du Lesbierin! Du Absinth! Du Ehe! Du Münzgewinsel ewiger Pokergier! Daß mein Blick Euch erschlüge-! Zischend krallt Dämmerungs eitrige Zunge. Schweinige Bäuche rhythmisieren. Ich! Ich!! Mein Name! ... La bourse ou la vie-!! |
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Ausserdem Gedichtveröffentlichungen u.a.
in: SCHREI IN DIE WELT - Expressionismus in Dresden, Zürich 1990
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